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3 Europaflaggen vor einem Hochhaus

Wie zukunftsfähig ist Europa?

„Europa selbst ist nur eine Etappe auf dem Weg zu den Organisationsformen der Welt von morgen.“

 

Jean Monnet (1888 –1979),
französischer Politiker und Wirtschaftsberater

 

 

MarktmeinungAktuelles

Einleitung

Über Jahrhunderte hinweg hatte Europa die Rolle eines globalen Hegemonen inne. Die Herausforderungen der vergangenen Jahre haben das vereinte Europa allerdings geschwächt. Nach BTV Einschätzung besitzt Europa weiterhin enormes Potenzial, auch wenn es nicht immer einfach ist, dieses auszuschöpfen.

Digitale Innovation: Verliert Europa den Anschluss?

Im Bereich der Digitalisierung ist Europa kein „global player“. Die größten und innovativsten Unternehmen sitzen in den USA, während sich Investitionen in Europa nach wie vor auf die „alten“ Branchen konzentrieren. Verliert Europa dadurch den Anschluss in Zeiten der Digitalisierung und des technologischen Wandels?

Deindustrialisierung: Wohin geht der Trend?

Pandemie und Krieg haben uns unsere Abhängigkeit von Russland und China schmerzlich bewusst gemacht. Die hohen Energiepreise belasten den europäischen Wirtschaftsmotor Deutschland noch heute und scheinen den Trend zur Deindustrialisierung zu verstärken. Es gibt aber auch Bestrebungen der EU in die andere Richtung: Die Produktion soll wieder nach Hause geholt werden.

Geopolitische Umwälzungen: Fairer Handel in Zeiten geopolitischer Umbrüche

Geopolitische Spannungen nehmen zu. Scharfe Rhetorik, Zölle und Handelskonflikte begegnen uns im globalen Osten wie im Westen und machen Handelsbeziehungen schwierig. Wie kann es der EU gelingen, den Binnenmarkt zu schützen und gleichzeitig den Außenhandel zu stärken, um für resiliente Lieferketten zu sorgen?

Revolution der Spracherkennung: CEO Prof. Dagmar Schuller über KI-Technologie und deren Zukunft

Als CEO und Mitbegründerin von audEERING, einem Start-up in der Softwareentwicklung, ist Prof. Dagmar Schuller täglich mit den Möglichkeiten und Weiterentwicklungen von künstlicher Intelligenz (KI) konfrontiert. Die Technologie des Unternehmens kann mithilfe von KI die stimmlichen und emotionalen Ausdrücke der Sprecher*innen erkennen. Im Interview verrät sie uns ihre Einschätzung zum KI-Boom und gibt uns auch Einblicke in die Funktionsweise der neuen Technologie von audEERING.

 

Wie viel Potenzial steckt Ihrer Meinung nach tatsächlich im KI-Boom und welche Branchen werden hiervon am meisten profitieren?

Es steckt sehr viel Potenzial im KI-Boom. Durch die Möglichkeit, wesentliche Prozesse und Produkte umzugestalten, werden unterschiedliche Bereiche eine deutliche  Effizienzsteigerung erfahren. Einerseits betrifft das insbesondere repetitive Aufgaben, die durch KI sehr gut umsetzbar sind, andererseits natürlich auch sehr innovative, disruptive Ansätze, die bisher nicht da gewesene Prozesse und Produkte kreieren. Dies gilt insbesondere für Arbeiten mit und durch die generative KI.

 

KI wird in alle Branchen Einzug halten, in manche mehr, in manche etwas weniger, aber generell wird es künftig kaum eine Industrie geben, die nicht mit KI arbeitet.

 

Sehen Sie Europa im Bereich KI als wettbewerbsfähig aufgestellt an? Wo liegen die Stärken und wo die Schwächen Europas?

Europa ist derzeit bedingt wettbewerbsfähig im Bereich KI. Das liegt einerseits an der bürokratischen und regulatorischen Struktur, andererseits auch an der deutlich geringeren Investmentfreude oder, besser gesagt, der eher risikoaversen Investmenteinstellung im europäischen Markt. Dazu kommt ein sehr gefahrengetriebenes Mindset auch aus der Bevölkerung, die nach wie vor stärker auf das Risiko als auf die möglichen Chancen durch KI fokussiert. Nichtsdestotrotz gibt es in Europa Highlights und gute KI-Erfolgsbeispiele. Die Stärke in Europa liegt insbesondere in der Grundlagenforschung für KI, die ist absolut Weltspitze und top. Wir haben hier alles, was wir bräuchten, um international sehr erfolgreich zu sein. Die Schwierigkeit für Europa liegt tatsächlich in der Umsetzung, die durch die vorhin genannten Faktoren beeinträchtigt ist. Wir brauchen hier dringend eine Balance, und das fängt mit einem positiveren Bild der KI, insbesondere durch Auseinandersetzen mit dem Thema und Bildung an. Dann haben wir auch eine gute Chance, wettbewerbsfähiger zu werden, als wir es aktuell sind.

 

Denken Sie, dass die Entwicklung von KI zu ähnlichen wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen führen wird wie damals das Internet?

Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wird dies hier auch der Fall sein. Es wird ein Umdenken stattfinden, das allein dadurch erfolgt, dass man sich an bestimmte Tools und Möglichkeiten gewöhnt, sie in den Alltag integriert und damit vertraut wird. Bestimmte Jobs werden stärker beeinflusst werden als andere und sie werden sich für die Menschen ändern. Neue Arbeitsbereiche werden entstehen und es wird sich auch der Umgang zwischen Mensch und Maschine anpassen. Ich sehe einen starken Trend zum Humancentered Design und Interaktionen, auch um diese Alltäglichkeit abzubilden. Das bedeutet, der Mensch mit seinen Bedürfnissen und Erwartungen steht im Mittelpunkt. Die Handhabung von beispielsweise Produkten wird vereinfacht und damit intuitiv.

 

Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Auseinandersetzung mit Verzerrungen und Prägungen, sogenannten Bias. Jeder Mensch ist ein Individuum und wird durch Erlebnisse und Erfahrungen geprägt. Damit ist das menschliche Handeln nicht immer rational, sondern auch oft durch Emotionen, das Umfeld oder Vorurteile beeinflusst. Durch die Abbildung in der KI wird man hier auf gesellschaftliche Aspekte aufmerksam, die zuvor zwar immer da, aber nicht so deutlich – nun maschinell abgebildet – sichtbar waren. Zum Beispiel könnte sich zeigen, dass in Bewerbungsgesprächen introvertiertere Personen seltener einen Arbeitsplatz zugesprochen bekommen, als dies laut ihrer Kompetenz gerechtfertigt wäre. Ein nicht rational begründbares Problem, bei dem die KI Abhilfe schaffen könnte. Das ist ein sehr spannendes Feld, das sich in den Bereich Ethik und Gesellschaft spannt.

 

Können Sie uns ein paar Einblicke in das Start-up audEERING geben, das Sie mitbegründet haben und dem Sie vorstehen?

audEERING hatte immer die Vision, das Wohlfühlen des Menschen zu verbessern. Das wollen wir mit unserer KI-basierten Audio-Technologie erreichen, die Stimmbiomarker analysiert, um einerseits eine deutlich verbesserte Mensch-Maschine-Kommunikation und -Interaktion zu ermöglichen und andererseits auch im medizinischen Bereich wesentlich zur Verbesserung des Gesundheits-/Pflegewesens beizutragen. Die Stimme ist der Spiegel der Seele – das haben schon die griechischen Philosophen gewusst. Auch der kürzlich verstorbene Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat in seiner Arbeit gezeigt, dass der überwiegende Teil der menschlichen Entscheidungen nicht rational, sondern emotional getroffen wird. Mit der audEERING-KI-Technologie können wir Zustände und Merkmale erkennen, die nicht nur darauf fokussieren, was jemand sagt, sondern insbesondere wie. Das gibt deutlich mehr Aufschluss darüber, was eine Person wirklich will, als der reine Textinhalt. Dazu kommt, dass man für die Analyse nur einen Sensor braucht, nämlich das Mikrofon, und das ist in fast allen Geräten mittlerweile in guter Qualität verfügbar.

 

Wir haben audEERING als Spin-off der TU München in 2012 gegründet, sind also im KI-Bereich sowas wie „Dinosaurier“. Die wissenschaftliche Forschung dahinter war damals bereits gut eine Dekade gereift. International zählen wir zu den führenden Unternehmen im Bereich Affective Computing und Stimmbiomarker.

 

In den letzten Jahren haben wir viel an der Produktstandardisierung gearbeitet und haben mit devAIce® und AI SoundLab zwei starke Produkte als SDK (Software Development Kit) und Web-App im Markt, die sowohl bei Fortune-100-Firmen international wie auch bei KMUs (klein- und mittelständische Unternehmen) im Einsatz sind. Wir sind dabei ein B2B-Unternehmen (Business-to-Business), das bedeutet, dass andere Unternehmen unsere Software-Produkte in ihre Plattformen oder Produkte integrieren. Das Geschäftsmodell basiert auf der Lizenzierung unserer Software-Produkte.

 

Erst die menschliche Sprache verleiht dem Gesagten die Intention sowie den Ausdruck. Wie und wo können Maschinen, die gelernt haben, die menschliche Stimme zu verstehen und auf sie zu reagieren, eingesetzt werden und einen Mehrwert bieten?

Eines der Hauptanwendungsgebiete ist die Kommunikation. Dabei wird in Echtzeit die Stimme analysiert, ohne auf den Inhalt zu achten. Einsatzgebiet ist beispielsweise im Call-Center, aber auch in der Interaktion mit automatischen Bots oder in der (Markt-)Forschung bei Produkt- und Usability-Tests. Hierbei werden auf Basis eines validierten psychologischen Modells unterschiedliche Dimensionen wie Arousal (Erregung), Valence (Wertigkeit) oder Dominance (Dominanz) aus der Stimme analysiert. Die Ziele sind hierbei unterschiedlich: Im Call-Center oder bei der Interaktion mit Bots geht es insbesondere darum, Stress für den Anrufer und/oder den Agenten zu reduzieren, eine angenehmere Situation zu schaffen und dadurch die Kundenzufriedenheit zu steigern und das Wohlfühlen positiv zu erhöhen. Hier haben wir sehr gute Case Studies wie beispielsweise mit dem Produkt Engage AI von Jabra, das auf unserer Technologie basiert und nachweislich zu besseren Gesprächsinteraktionen und erhöhter  Kundenzufriedenheit führt.

 

Das zweite große Gebiet ist Smart Devices, d. h. Integration auf Geräten wie beispielsweise im Auto, auf dem Roboter, auf dem Handy etc. oder in Plattformen, wo es primär um die Interaktion zwischen dem Gerät und seinem Nutzer geht. Hier führt die Technologie auch zu besserem Verständnis des Users und intelligenterer Reaktion des Gerätes, was natürlich die Interaktion verbessert und dem Nutzer einen besseren Wohlfühlfaktor mit dem Gerät gibt.

 

Der dritte Bereich ist insbesondere im Gesundheitswesen und in der Forschung. Hierbei nutzen wir die Technologie für geführte Sprachtests und können so Anomalien, Dysfunktionalitäten, aber auch langfristige Entwicklungen sehen, die eben mit der biologischen Sprachproduktion oder der psychologischen Analyse zusammenhängen. Das bedeutet, dass man punktuell Daten dazu erheben kann oder auch über einen längeren Zeitraum. Insbesondere neurokognitive, neurodegenerative (beispielsweise Demenz) und respiratorische Krankheitsbilder sowie Sprachstörungen stehen hierbei im Vordergrund. Besondere Stärke ist hierbei die Möglichkeit des nicht invasiven Screenings und Monitoring bei einer Therapie und/oder nach einer Diagnose sowie Unterstützung bei der Diagnose als weiterer Marker/Information.

 

Insbesondere arbeiten wir hier mit pharmazeutischen Unternehmen, Kliniken und Mediziner*innen zusammen, die unsere Technologie in diesem Umfeld einsetzen.

Fazit zu "Wie zukunftsfähig ist Europa?"

Europa muss sich zukunftsorientiert aufstellen.

Nichts ist beständiger als der Wandel, wie einst bereits Heraklit erkannte. Auch wenn wir uns nach Sicherheit sehnen und Risiken im Blick haben müssen, gilt es, sich ergebende Chancen zu nutzen und Herausforderungen anzupacken. Dies ist aktuell insbesondere für Europa wichtig.

 

Das Säbelrasseln zwischen den größten Wirtschaftsmächten wird weitergehen und es heißt, sich zukunftsorientiert  aufzustellen, um Konkurrenten die Stirn bieten zu können. Eine Abschottungspolitik ist aus unserer Sicht keinesfalls  zielführend, es gilt jedoch, Abhängigkeiten zu verringern und Risiken, die aus Wirtschaftsverbindungen resultieren, zu reduzieren und zu diversifizieren.

 

Den Wirtschaftsstandort Europa zu stärken, darauf kommt es an, um Innovationen voranzutreiben und kluge Köpfe für sich  zu gewinnen. Der Zusammenhalt in der Eurozone muss gefestigt werden, um auf internationalem Parkett als Einheit auftreten zu können, die sich auch beschlussfähig zeigt. Die verschiedenen Kulturen, Sprachen und (wirtschafts-)politischen Strategien unseres vielfältigen Europas scheinen uns oft zu lähmen, können aber auch als die größte Stärke dieses Kontinents erachtet  werden. Aber nur, wenn richtig eingesetzt.

BTV Experten-Dialog: Livestream am 10.10.2024

Europa: eine Wirtschaftsmacht inmitten von Innovationsdruck, Deindustrialisierung und geopolitischen Umwälzungen. Mit welchen Gefahren und zugleich Chancen in Zukunft zu rechnen ist, wird im BTV Experten-Dialog diskutiert.

Basisszenario

Beobachtete Wirtschaftsszenarien im Anlageprozess

Einer der Grundpfeiler des BTV Asset Managements sind konjunkturelle und wirtschaftspolitische Einschätzungen. Im ersten Schritt werden die wahrscheinlichsten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die nächsten drei bis sechs Monate erarbeitet, das sogenannte Basisszenario. Zusätzlich dazu werden positive wie auch negative Abweichungen, die jedoch als wenig wahrscheinlich erachtet werden, mitbeobachtet (Positiv- und Negativszenario).

Positivszenario
  • Produktivitätszugewinne führen zu Inflationsrückgängen und erhöhen Wirtschaftswachstum
  • Inflation geht schneller als erwartet zurück und ermöglicht mehr Zinssenkungen durch Notenbanken
Basisszenario
  • USA mit solidem Wachstum, Eurozone durch Deutschlands Industrie belastet
  • Inflation bewegt sich weiter in Richtung Zielniveau von 2 % und ermöglicht Zinssenkungen
  • Geopolitische Unsicherheiten können Volatilität an den Finanzmärkten zwischenzeitlich erhöhen
  • (Wirtschafts-)politische Unsicherheiten bleiben vor US-Wahlen im November hoch
Negativszenario
  • Notenbanken müssen die Zinsen länger auf den aktuell erhöhten Niveaus halten, was die Wirtschaftsleistung in den USA und Europa stärker belastet
  • Globale Fronten verhärten sich und führen zu einer fortschreitenden  Deglobalisierung

Zum Glossar und den Erläuterungen von Finanzbegriffen

  • Die in diesem Beitrag verwendeten Fach- und Finanzbegriffe werden unter diesem Link ausführlich erklärt.

    Die Beiträge in dieser Publikation dienen lediglich der Information. Die BTV prüft ihr Informationsangebot sorgfältig. Dennoch bitten wir um Verständnis, dass wir diese Informationen ohne Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität zur Verfügung stellen. Verleger und Verfasser behalten sich einen Irrtum, insbesondere in Bezug auf Kurse und andere Zahlenangaben, ausdrücklich vor. Durch neue Entwicklungen oder kurzfristige Änderungen können diese Informationen daher bereits überholt sein. Bei Prognosen und Schätzungen über die zukünftige Entwicklung handelt es sich lediglich um unverbindliche Werte. Von diesen kann nicht auf die tatsächliche künftige Wertentwicklung geschlossen werden, weil zukünftige Entwicklungen des Kapitalmarktes nicht im Voraus zu bestimmen sind. Bei diesen Informationen handelt es sich um keine individuelle Anlageempfehlung, kein Angebot zur Zeichnung bzw. zum Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten. Bitte beachte Sie, dass ein Investment mit Risiken verbunden ist. Stand: September 2024

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