Wohnimmobilien und aktuelle Herausforderungen für Kreditnehmer*innen

Eine hartnäckige hohe Kerninflation, rasch gestiegene Zinsen und die seit 01.08.2022 gültige Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung (KIM-V) dämpfen die Nachfrage nach Wohnimmobilien in Österreich. Der BTV Finanzierungsexperte Mario Scherl gibt einen Überblick über die bisherige Preisentwicklung, betrachtet das Thema Leistbarkeit und geht auf aktuelle Herausforderungen für Kreditnehmer*innen ein.

Mario Scherl

Herr Scherl, nachdem die Immobilienpreise bis 2021 jahrelang deutlich gestiegen sind, stellt sich die Frage wie sich die Preise jüngst entwickelt haben?

Laut Statistik Austria verteuerten sich im Jahr 2022 die Wohnimmobilien durchschnittlich um 11,6 % zum Vorjahr. Das letzte Quartal 2022 zeigte jedoch erstmals einen leichten Preisrückgang von 0,6 % zum Vorquartal. Im 1. Halbjahr 2023 stiegen die Preise für Häuser und Wohnungen mit 0,7 % zum Vorjahr nur geringfügig an. Die Preise für Bestandswohnungen verzeichneten sogar einen Preisrückgang von ca. 2,5 %.

 

Der österreichische Wohnimmobilienmarkt zeigte jahrelang Preisteigerungsraten deutlich über dem europäischem Schnitt. Wie verhält sich dies zuletzt?

Die Preissteigerungen in Österreich waren wirklich beachtenswert. Betrachtet man beispielsweise die Hauspreise, die in den letzten 10 Jahren im europäischen Schnitt um ca. 40 % anzogen, haben sich die Hauspreise in Österreich im selben Zeitraum verdoppelt. Zuletzt gab es sowohl in Österreich als auch in der EU einen leichten Preisrückgang.

 

Die Preisrallye scheint somit derzeit gestoppt. Welche Trends sind bei den Neukreditvergaben zu beobachten?

Seit dem zweiten Halbjahr 2022 ist die Nachfrage aufgrund steigender Zinsen und einer hohen Inflation zurückgegangen. Dieser Trend hielt auch im ersten Halbjahr 2023 an. Die sinkende Leistbarkeit ist bei Immobilien für den Eigenbedarf der Haupttreiber. Bei Vermietungsobjekten wirken sich die gestiegenen Finanzierungskosten negativ auf die Gesamtrendite aus. Die gesetzlichen Regelungen wirken auch dämpfend, wobei der primäre Grund für den Nachfragerückgang an den gestiegenen Finanzierungskosten und dem Kaufkraftverlust liegt. Wir beobachten zudem seit dem Herbst 2023 eine leicht steigende Nachfrage.

 

Immer öfters hört man, dass der Immobilienerwerb unleistbar ist. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?

Leistbarkeit bemisst sich durch folgende 4 Faktoren: dem Kaufpreis, den Eigenmitteln, den aktuellen Kreditzinsen und der Höhe des Einkommens. Die Leistbarkeit hat in den letzten 10 Jahren abgenommen, da die Immobilienpreise und Kredithöhen stärker stiegen als die Einkommen. Nun wirken der Kaufkraftverlust und die gestiegenen Zinsen zudem negativ auf die Leistbarkeit ein. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt jedoch, dass die Herausforderungen für den Immobilienerwerb vor 30 Jahren noch größer waren als heute.

 

Die aktuelle Situation ist somit herausfordernd für die Schaffung der eigenen vier Wände. Was empfehlen Sie Ihren Kunden?

Ich bin nach wie vor der Meinung, dass keinesfalls der Kopf in den Sand gesteckt werden sollte, wie es sprichwörtlich heißt. Es gilt die eigenen Vorstellungen der Wunschimmobilie an die finanziellen Rahmenbedingungen anzupassen. Zudem gibt es immer wieder wohnbaugeförderte Projekte, welche teilweise leicht reduzierte Preise haben und zudem Wohnbauförderungsmöglichkeiten bieten. Falls diese Anpassung zu keinem geeigneten Kompromiss führt, kann ich nur empfehlen die Zeit für den Kapitalaufbau zu nutzen, um bei geänderten Rahmenbedingungen startklar zu sein.

 

Lassen Sie uns abschließend auf die Situation bestehender Kreditkunden blicken. Die gestiegenen Zinsen haben bei variablen Krediten die Kreditraten seit 2022 stark erhöht. Was empfehlen Sie bestehenden Kreditnehmern?

Zinssteigerungen werden standardmäßig bereits bei Kreditbeginn gemeinsam mit den Kund*innen simuliert. Grundsätzlich sehe ich durch einen stabilen Arbeitsmarkt und steigende Löhne derzeit kein breites Zahlungsproblem in der Gesellschaft, wenngleich gestiegene Kreditraten das Budget nun stärker belasten. Oftmals hilft es bereits eine Umverteilung des Budgets zu Lasten des Konsums vorzunehmen.

 

Vereinzelt kommen aber weitere Faktoren zeitgleich auf Kreditnehmer*innen zu. Das kann ein Einkommensrückgang durch Familienzuwachs sein oder auch stark gestiegene Kosten für Energie.

Hier ist es wichtig, frühzeitig das Gespräch mit der Bank zu suchen und Lösungsansätze zu evaluieren, da es kein Allgemeinrezept gibt. Um die richtigen Entscheidungen zu treffen, muss die individuelle Situation analysiert werden. Unsere BTV Betreuer*innen stehen unseren Kunden hierfür natürlich jederzeit zur Verfügung.

 

Herr Scherl, vielen Dank für das Gespräch!

Ein Mann mit einem blauen Anzug und Krawatte

Ihr Experte im Gespräch

Mario Scherl ist seit über 17 Jahren im Bankenbereich tätig. Sein Schwerpunkt liegt im Bereich der Immobilienfinanzierung im Privatkundengeschäft. Seit 2013 ist er in der Bank für Tirol und Vorarlberg AG tätig und seit 2016 Leiter für das private Finanzierungsgeschäft.

Unsere BTV Wohnbauexpert*innen sind bei allen Fragen rund um die Anschaffung und Finanzierung von Immobilien gerne für Sie da.

  • Quelle: BTV; Stand: 15.11.2023. Die Beiträge in dieser Publikation dienen lediglich der Information. Die BTV prüft ihr Informationsangebot sorgfältig. Dennoch bitten wir um Verständnis, dass wir diese Informationen ohne Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität zur Verfügung stellen. Verleger und Verfasser behalten sich einen Irrtum, insbesondere in Bezug auf Kurse und andere Zahlenangaben, ausdrücklich vor. Durch neue Entwicklungen oder kurzfristige Änderungen können diese Informationen daher bereits überholt sein. Bei diesen Informationen handelt es sich um keine individuelle Anlageempfehlung, kein Angebot zur Zeichnung bzw. zum Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten.

    Die in diesem Beitrag verwendeten Fach- und Finanzbegriffe werden unter diesem Link ausführlich erklärt.