Wohnimmobilien – So wirken sich Zinssteigerungen und neue Kreditrichtlinien aus

BTV Finanzierungsexperte Mario Scherl erläutert im Interview die Auswirkungen steigender Zinsen auf die Immobilienpreise sowie die Kreditnachfrage und geht auf die kürzlich veröffentlichten regulatorischen Neuerungen bei den Kreditrichtlinien ein.

Die Preissteigerung von Wohnimmobilien lag bis Mitte 2022 deutlich über der Inflationsrate. Auf Basis der Empfehlung des Finanzmarktstabilitätsgremiums (FMSG) wurde die Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung (KIM-V) veröffentlicht und trat mit 1. August 2022 in Kraft. Gleichzeitig führte die hohe Inflation zu rasch steigenden Zinsen.

 

Doch wie wirken sich steigende Zinsen und die Neuerungen bei den Kreditvergaberichtlinien mittlerweile auf die Immobilienpreise aus? Was bedeuten sie für die Kreditnachfrage? Und ist die Anschaffung einer eigenen Immobilie aktuell noch sinnvoll?

 

Wir haben BTV Finanzierungsexperte Mario Scherl zum Interview gebeten und nach seiner Einschätzung befragt.

Herr Scherl, wie hat sich die Kreditnachfrage in den letzten Monaten entwickelt?

Wie erwartet, kam es bereits in der zweiten Jahreshälfte 2022 und im ersten Quartal 2023 zu einem Rückgang der Kreditnachfrage. Konkret spricht man in Österreich im zweiten Halbjahr 2022 von einem Rückgang von ca. 40 – 50 %. Für das erste Quartal 2023 erwarte ich ein ähnliches Ergebnis gegenüber dem Vergleichsquartal 2022.

Was ist aus Ihrer Sicht der Hauptgrund für diesen starken Rückgang bei der Kreditnachfrage?

Meines Erachtens ist es die Kombination aus sinkenden Realeinkommen, strengeren Kreditvergabevorschriften seit der KIM-V und gestiegenen Zinsen. Unsicherheiten bei Baukosten und Energiepreisen wirken zudem dämpfend.

 

Im Interview

Mario Scherl ist seit über 17 Jahren im Bankensektor tätig. Sein Schwerpunkt liegt im Bereich der Immobilienfinanzierung im Privatkundengeschäft. Seit 2013 ist er in der Bank für Tirol und Vorarlberg AG tätig und seit 2016 Leiter für das private Finanzierungsgeschäft.

Die EZB hat innerhalb weniger Monate den Leitzins auf 3,75 % angehoben. Was bedeutet dies für die Kreditraten von neuen Immobilienfinanzierungen?

Die Kundenzinssätze sind analog der Leitzinsentwicklung ebenfalls stark gestiegen, wobei die Auswirkung auf den ersten Blick oftmals unterschätzt wird. Pro 100.000 Euro bedeutet diese Zinssteigerung von 3,75 % im Vergleich zum Mai 2022 bei variabel verzinsten Krediten eine zusätzliche finanzielle Belastung von circa 200 Euro pro Monat. Bei einem marktüblichen Kreditbetrag von 300.000 Euro beträgt die Mehrbelastung somit 600 Euro pro Monat bzw. 7.200 EUR pro Jahr.

Erhöht die kollektivvertragliche Anpassung der Einkommen die Leistbarkeit von Krediten?

Die zuletzt durchgeführten Valorisierungen konnten lediglich die gestiegenen Preise insbesondere für Energie und Lebensmittel zum Teil decken. Liquidität für gestiegene Zinsbelastungen ergab sich hieraus meines Erachtens aber keine.

In der KIM-V wurde vorgegeben, dass die Ratenbelastung max. 40 % des Einkommens betragen kann. Was bedeutet dies für die Kreditsumme?

Der Median des Bruttojahreseinkommen lag 2022 in Österreich bei 44.500 Euro. Bei einem Zinsatz von 4,5 % entspricht dies einem Kreditbetrag von ca. 210.000 Euro. Im aktuellen Umfeld ist daher ein höherer Eigenmittelanteil erforderlich. Leichter darstellbar ist ein Immobilienerwerb in einer Partnerschaft und damit zwei zur Verfügung stehenden Einkommen. Hier muss aber natürlich eine etwaige Familienplanung berücksichtigt werden.

Erzielt die KIM-V, welche 2022 eingeführt wurde, Ihrer Meinung nach den gewünschten Effekt?

Für junge Familien erschwert dies zusätzlich die Suche nach leistbarem Wohnraum und es bleibt oftmals nur die Miete als Option. Leider ist die Umsetzung aber auch bei Zwischenfinanzierungen, Finanzierungen an Kund*innen mit hohem Einkommen, Effekten-Lombard-Krediten und Bevorschussungen von Förderdarlehen nicht optimal.

 

Grundsätzlich sehen wir uns in der BTV durch die Verordnung in unserem konservativen Ansatz bei Kreditentscheidungen bestätigt. Isoliert auf unsere Kreditvergabe gesprochen bringt die KIM-V jedoch keine Risikominimierung in unserem Kredit-Portfolio.

Im April 2023 kam es zur Novelle der KIM-V. Was hat sich konkret geändert?

Die Geringfügigkeitsgrenze wurde für Kredite an mindestens 2 Personen von 50.000 Euro auf 100.000 Euro erhöht. Die Vorfinanzierung von Darlehen der Förderstellen bzw. von Bausparkassen wurde hinsichtlich der Berechnung geringfügig angepasst. Die größte Änderung stellt die Möglichkeit der Zwischenfinanzierungen von Immobilienverkäufen und Zuschüssen der Förderstellen dar: Diese Zwischenfinanzierung muss nämlich unter gewissen Voraussetzungen nicht die Kreditkennzahlen erfüllen.

Im Überblick

Die aktuelle Obergrenzen für Neukreditvergaben:

Für private Kreditnehmer*innen (max. 4 Personen) gelten seit 01.08.2022 folgende Obergrenzen für Neufinanzierungen:

  1. Maximale Kreditlaufzeit 35 Jahre
  2. Maximale Schuldendienstquote (DSTI) 40 %
  3. Maximale Beleihungsquote (BelQ) 90 %

Seit April 2023 gelten bei Zwischenfinanzierung folgende Ausnahmekriterien:

  • Maximal 80 % des Immobilienwertes
  • Maximal 24 Monate Laufzeit
  • Bei einer Zusatzfinanzierung muss der Zinsdienst für die Berechnung der Schuldendienstquote (DSTI) angesetzt werden
  • Bevorschussung Förderzuschüsse bei vorliegender Zusicherung

Herr Scherl, bringen die Erleichterungen der KIM-V aus Ihrer Sicht den gewünschten Effekt?

Die Neuerung zu Immobilienzwischenfinanzierungen löst zumindest teilweise ein gesellschaftliches Problem und wird isoliert betrachtet natürlich begrüßt. Die definierten Einschränkungen und insbesondere der zwingende Ansatz des Zinsdienstes für die Berechnung der Schuldendienstquote von – in vielen Fällen notwendigen – langfristigen Finanzierungen schränkt die Wirksamkeit jedoch wieder ein.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Immobilienpreise?

Ich persönlich gehe davon aus, dass sich die Preise von Neubauobjekten aufgrund der gestiegenen Baukosten nicht reduzieren werden. Bei Bestandsimmobilien ist bei gut ausgestatteten Immobilien in den Top-Lagen ebenfalls kein oder nur ein geringfügiger Preisrückgang zu erwarten. Die durchschnittliche Bestandsimmobilie wird im Jahr 2023 vermutlich die Steigerung aus 2022 verlieren und damit das Preisniveau von 2021 halten.

Eine abschließende Frage, ist die Anschaffung einer eigenen Immobilie aktuell sinnvoll?

Hier muss im ersten Schritt die aktuelle Zinslandschaft im Kontext einer längeren Beobachtungsperiode beurteilt werden. Der Leitzins lag vor Beginn der Nullzinsphase zwischen 1999 und 2009 im Durchschnitt bei 3,1 %. In den 90er Jahren lagen die Kundenzinssätze sogar zwischen 7 und 11 %.

 

Auf ein Wiederkehren der Nullzinspolitik zu warten, wäre aus meiner Sicht der falsche Weg. Wenngleich die gestiegenen Zinsen sich direkt auf die monatliche Liquidität auswirken, wird mit dem eigenen Wohnraum Privatvermögen geschaffen. Dies halte ich nach wie vor als wichtigen Eckpfeiler um sich gegen Altersarmut zu schützen und Vermögen über Generationen hinweg aufzubauen.

Herr Scherl, vielen Dank für das Gespräch!

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  • Stand: 01.05.2023 Die BTV prüft ihr Informationsangebot sorgfältig. Dennoch bitten wir um Verständnis, dass wir diese Informationen ohne Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität zur Verfügung stellen. Bitte beachten Sie, dass Einschätzungen und Bewertungen die Meinung des jeweiligen Verfassers zum Zeitpunkt der Erstellung bzw. Ausarbeitung reflektieren und für die Richtigkeit und den Eintritt eines bestimmten Erfolges keine Gewähr übernommen wird. Der Verfasser behält sich einen Irrtum, insbesondere in Bezug auf Zahlenangaben, ausdrücklich vor.
    Quellen: Stepstone-Gehaltsreport 2022, Statistik Austria, Bankenverband Österreich.

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