BTV Expertengespräch: Breite Diversifikation ist ein Muss
Wie reagieren die Fondsgesellschaften auf das herausfordernde Umfeld und können Fonds gegenüber ETFs weiterhin überzeugen?
Es ist ein Mann, der die ganze Welt – speziell aus wirtschaftlicher Sicht – seit seinem Amtsantritt in Atem hält: US-Präsident Donald Trump. Es werden Wachstumsprognosen erstellt und verworfen, Unternehmensentscheidungen getroffen und revidiert, ja nach den Aussagen des US-Präsidenten, die sich täglich, wenn nicht sogar stündlich ändern können. Was bleibt, ist die Unsicherheit unter Unternehmer*innen, Investor*innen und Konsument*innen. Im ersten BTV ANLAGEKOMPASS Spezial in diesem Jahr dreht sich alles um die US-Handelspolitik. Wir werfen dafür einen genaueren Blick hinter die Kulissen, auf Abhängigkeiten und Zusammenhänge. Welchem Zweck dienen Zölle? Ein Blick in die Vergangenheit gibt Aufschlüsse.
Der zunehmende Welthandel und die fortschreitende Globalisierung haben den Wohlstand, wie wir ihn heute kennen, überhaupt erst möglich gemacht. Dies lässt sich zumindest in Lehrbüchern nachlesen. Warum die Vernetzung der Welt aber immer wieder auch starker Kritik unterliegt, lesen Sie nachfolgend.
Allen Kritikern zum Trotz sei gesagt: Der freie Handel hat das Weltwirtschaftswachstum seit dem 2. Weltkrieg maßgeblich vorangetrieben und damit den Wohlstand erhöht. Dies lässt sich damit begründen, dass der Handel auf mehreren Ebenen Vorteile bietet:
Zusammenfassend zeigt sich daher, dass der Welthandel die Warenverfügbarkeit verbessert, Innovationen vorangetrieben und den Wohlstand erhöht hat.
Produktion Land A | Produktion Land B | Summe Produktion | |
Mais | 7 Stunden | 4 Stunden | 2 kg Mais |
Mehl | 9 Stunden | 3 Stunden | 2 kg Mehl |
Summe Zeitaufwand | 16 Stunden | 7 Stunden |
Quelle: Beispielrechnung BTV nach David Ricardo
Produktion Land A | Produktion Land B | Summe Produktion | |
Mais | 14 Stunden | 2 kg Mais | |
Mehl | 6 Stunden | 2 kg Mehl | |
Summe Zeitaufwand | 14 Stunden | 6 Stunden |
Quelle: Beispielrechnung BTV nach David Ricardo
Betrachtet man unsere jüngere Geschichte, so zeigt sich, dass das globale Handelsvolumen seit dem 2. Weltkrieg stark angestiegen ist. Den Grundpfeiler für diese Entwicklung lieferte die Unterzeichnung des GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) im Jahr 1947, das bis zur Gründung der WTO (World Trade Organization) für fast fünf Jahrzehnte die Grundlage für die Regulierung des internationalen Handels, vor allem des Warenhandels, bildete. Im Mittelpunkt stand hierbei die Reduzierung von Handelshemmnissen wie Zöllen und Handelsquoten mit dem Ziel der Erholung der Weltwirtschaft sowie insbesondere auch eines anhaltenden Friedens durch verstärkte globale Vernetzung.
Mit der Gründung der WTO im Jahr 1995, dem Beitritt Chinas zur WTO 2001 sowie der rasanten Entwicklung des Internets und der damit verbundenen digitalen Vernetzung erhielt der Welthandel erneut Schub. Seit der globalen Finanzkrise 2008 konnte das weltweite Handelsvolumen allerdings nicht weiter zulegen, sondern es stagnierte bei ca. 55 % des globalen BIP. Die Gründe hierfür reichen von der durch die Finanzkrise ausgelösten globalen Rezession über die erste Amtszeit Donald Trumps (2017–2021) mit dem Beginn des Handelskonflikts und die Coronavirus-Pandemie bis hin zur Zuspitzung des Handelskonflikts nun in Trumps zweiter Amtszeit. Verstärkt in den Vordergrund traten hierbei das Risiko, das sich aus Abhängigkeiten von einzelnen Volkswirtschaften ergibt, sowie jenes von Lieferkettendisruptionen. Interessant ist, dass zwar der Warenhandel seit 2008 abnimmt, der Dienstleistungshandel jedoch sukzessive zugelegt hat, wenngleich dessen Anteil am globalen BIP mit ca. 14 % vergleichsweise gering ausfällt.
Quelle: Bloomberg; Stand 25.04.2025
Der Welthandel zählt seit dem 2. Weltkrieg damit zu den wichtigsten globalen Wachstumstreibern. Dies bedeutet allerdings nicht, dass ein weiterer Anstieg des globalen Handelsvolumens heute im selben Ausmaß wachstumstreibend wirken würde wie in der Nachkriegszeit. Nicht vergessen werden darf außerdem, dass die Globalisierung auch Nachteile mit sich bringt.
Wenngleich der Wohlstand auch in den ärmeren Ländern der Welt zugenommen und damit die Ungleichheit zwischen den Volkswirtschaften abgenommen hat, so hat der Anstieg des Welthandels dennoch dazu geführt, dass die soziale Schere innerhalb der Volkswirtschaften auseinandergegangen ist. In den USA zeigt sich beispielsweise, dass mit dem Anstieg des globalen Handelsvolumens das Vermögen der Haushalte stärker gewachsen ist als das Einkommen. Dies führt vor allem in den unteren Einkommensschichten zu Unzufriedenheit.
Auf Unternehmensebene wurde die Produktion zwar effizienter, aber sowohl die USA als auch die Eurozone haben an Wettbewerbsfähigkeit in der Industrie stark eingebüßt. Durch die Auslagerung der Fertigung in sogenannte Niedriglohnländer gingen nicht nur Produktionskapazitäten verloren, sondern auch essenzielles Know-how. Bedenken hinsichtlich Abhängigkeiten vom Ausland in Bezug auf wichtige Zukunftstechnologien beschäftigen hierbei nicht nur Unternehmen, sondern lösen auch Diskussionen auf staatlicher Ebene – Thema nationale Sicherheit – aus. Dass sich die Wertschöpfungsketten seit dem Beginn des Handelskonflikts während Trumps erster Amtszeit verlängert haben und das Lieferkettenrisiko damit weiter gestiegen ist, gilt als zusätzlicher Belastungsfaktor.
Damit stellt sich die Frage, ob die protektionistische Handelspolitik Trumps in gewisser Weise nicht doch gerechtfertigt ist.
Zölle behindern den Welthandel und werden weitgehend kritisch beurteilt. Dennoch können sie auch einem Zweck dienen. Lesen Sie hier, wie die US-Regierung unter Donald Trump versucht, das massivste Zollniveau seit 100 Jahren zu rechtfertigen.
Die Globalisierung und der Außenhandel haben vielen großen Nationen der Welt zu Wohlstand verholfen – allen voran den USA. Die Vereinigten Staaten gehören zu den drei größten Importeuren und Exporteuren weltweit. Und obwohl Trump sein Land bei jeder Gelegenheit als Opfer der Globalisierung bezeichnet: Die Einbindung in die Weltwirtschaft hat die USA sehr reich gemacht. Zölle werden dabei in gängigen Wirtschaftstheorien überwiegend kritisch gesehen, da sie den internationalen Warenhandel behindern und im Rahmen der Theorie der komparativen Kostenvorteile zu einem Wohlfahrtsverlust führen (siehe vorheriges Kapitel). Trotzdem gab es in der Geschichte der USA immer Zölle und Präsidenten, die sie aus den verschiedensten Gründen befürworteten. Hier zwei Beispiele und Zitate berühmter US-Präsidenten:
Ich verwende in meiner Familie weder Porter (Biersorte, ursprünglich aus England) noch Käse, außer solche, die in Amerika hergestellt werden“, schrieb 1789 der erste Präsident George Washington und fügte stolz hinzu, dass diese heimischen Produkte „von ausgezeichneter Qualität“ seien. Eines der ersten Gesetze, die Washington unterzeichnete, war ein Zoll, dessen erklärter Zweck „die Förderung und der Schutz der Manufakturen“ war.
Präsident Abraham Lincoln erklärte 1847: „Gebt uns einen Schutzzoll und wir werden die größte Nation der Erde haben.“ Während des Bürgerkriegs führte er einen Zoll von 44 % ein, um Eisenbahnsubventionen und die Kriegsanstrengungen zu finanzieren und um bestimmte kritische Industrien zu schützen.
George Washington 1732–1799, 1. Präsident der Vereinigten Staaten - Foto: unsplash.com
Abraham Lincoln 1809–1865, 16. Präsident der Vereinigten Staaten - Foto: unsplash.com
Zölle arbeiten gegen die Globalisierung und den Welthandel und sind daher auf den ersten Blick nicht förderlich für unseren Wohlstand, den uns die global vernetzte Welt in den vergangenen Jahrzehnten gebracht hat. Allerdings hat uns das Coronavirus schmerzlich vor Augen geführt, dass Lieferketten, die global vernetzt sind, auch zu einem Problem werden können. Einer der drei nachfolgend angeführten Hauptzwecke, denen ein Zoll dient, ist daher, die Unabhängigkeit eines Landes wieder zu erhöhen:
Gründe für Zölle scheint man also genug zu finden, selbst wenn sie von vielen Ökonomen heute kritisch gesehen werden und den internationalen Welthandel behindern. Im nächsten Kapitel werfen wir einen Blick auf die diesbezügliche Geschichte der USA: Wann waren die Zölle am höchsten? Welches Zollprogramm verschaffte den USA einen wirtschaftlichen Vorteil, welches führte zu Problemen?
Quelle: Deutsche Bank; Stand 25.04.2025
Zölle waren von jeher ein wichtiger Bestandteil der US-Handelspolitik, verloren aber über die Jahrhunderte an Bedeutung, als der globale Handel immer wichtiger wurde. Wir widmen uns in diesem Kapitel verschiedenen Zollprogrammen aus der US-Geschichte – einige haben funktioniert, andere haben der US-Wirtschaft hingegen nur Nachteile gebracht.
Trumps reziproke Zölle, die er Anfang April im Rahmen seines „Liberation Day“ verkündete, wurden zu einem großen Teil bereits 13 Stunden nach Inkrafttreten wieder für 90 Tage ausgesetzt. Ob sie nach Ablauf dieser Frist wirksam werden, steht noch nicht fest, eventuell lässt er sich durch Verhandlungen und Zugeständnisse der betroffenen Länder wieder davon abbringen. Im Falle des Inkrafttretens befände sich der durchschnittliche Zoll für US-Importe auf einem Niveau wie zuletzt vor über 100 Jahren (siehe Grafik). Es geht aber noch höher, wenn man einen Blick etwas weiter zurück in die US-Geschichte wirft.
Quelle: Bloomberg; Stand 25.04.2025
Von 1790 bis 1860 stiegen die durchschnittlichen Zölle von 20 % auf 60 % und blieben mehrere Jahrzehnte auf diesem Niveau. Zu dieser Zeit hatten die USA eine der höchsten durchschnittlichen Zollraten auf Industrieimporte weltweit, 50–90 % der Staatseinnahmen wurden damals durch Zölle erwirtschaftet. Zum Vergleich: Heute sind es ca. 2 %. Erst 1934 sanken die durchschnittlichen Zölle erheblich und stabilisierten sich schließlich bei unter 5 %.
Werfen wir einen Blick auf ein prominentes Beispiel und eines der wichtigsten Zollprogramme aus der US-Geschichte. Bereits im 18. Jahrhundert empfahl der erste US-Finanzminister Alexander Hamilton Zölle, die darauf abzielten, die aufstrebende heimische Industrie zu schützen, Innovationen zu fördern und die Abhängigkeit von britischen Importen zu verringern. Hamiltons Politik führte zu einem jährlichen Wachstum der industriellen Produktion von 5 % im folgenden Jahrhundert. Er erkannte zudem auch die Abhängigkeit der USA von ausländischen Waffen als Bedrohung für die nationale Sicherheit und versuchte deshalb speziell auch in diesem Bereich, die heimische Produktion zu fördern. Dies ermöglichte es den USA, die Selbstversorgung in der Waffenproduktion zu erreichen, und versetzte sie damit in die Lage, sich ohne europäische Unterstützung zu verteidigen.
Der „Zolltarif der Abscheulichkeiten“ (engl.: Tariff of Abominations) aus dem Jahr 1828 war ein Zollgesetz unter der Präsidentschaft von John Quincy Adams. Insbesondere im Süden der USA stieß dieses Gesetz auf heftigen Widerstand und führte zu erheblichen Spannungen zwischen den nördlichen und südlichen US-Bundesstaaten. Das Gesetz sah verschiedene Zölle von bis zu 45 % auf Importe aus Europa vor, um die amerikanische Industrie zu schützen. Der Zolltarif wurde von den südlichen Staaten vehement abgelehnt, da diese hauptsächlich landwirtschaftlich geprägt und stark auf den Import von Waren angewiesen waren. Die Südstaaten sahen sich durch die höheren Preise für importierte Güter benachteiligt und argumentierten, dass der Zolltarif ihre Wirtschaft schädigen würde. 1833 wurde das Gesetz durch den Compromise Tariff abgelöst, um die Spannungen zwischen Norden und Süden der USA zu entschärfen. Dieser sah eine schrittweise Senkung der Zölle über einen Zeitraum von zehn Jahren vor, bis sie auf das Niveau von 1816 zurückgekehrt waren.
Alexander Hamilton 1755/1757–1804, Gründervater der Vereinigten Staaten - Foto: gettyimages.com
John Quincy Adams 1767–1848, 6. Präsident der Vereinigten Staaten - Foto: gettyimages.com
Das Smoot-Hawley-Zollgesetz aus dem Jahr 1930 wurde während der Präsidentschaft von Herbert Hoover eingeführt und verschärfte die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise. Mit dem Ziel, US-Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz zu schützen, wurden Zölle auf über 20.000 importierte Waren erhoben. Die Erhöhung der durchschnittlichen Zölle um rund 20 % löste aber Vergeltungsmaßnahmen ausländischer Regierungen aus – ähnlich wie es heute rund um Trumps Zölle bereits zu beobachten ist. Der Handel brach daraufhin ein, was den wirtschaftlichen Abschwung während der Großen Depression nach dem Börsencrash von 1929 noch verschärfte. Dieses Zollgesetz trug maßgeblich dazu bei, die Zollhoheit vom Kongress hin zum Präsidentenamt zu verlagern. Die Gesetzgeber suchten damals eine Möglichkeit, um Zölle gegebenenfalls schnell wieder zurückfahren zu können. 1934 war dies die Geburtsstunde des „Reciprocal Tariffs Act“, der es Trump heute ermöglicht, Zölle im Alleingang um bis zu 50 % zu erhöhen oder zu senken.
1947 wurde das GATT, das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (engl.: General Agreement on Tariffs and Trade), ins Leben gerufen, das am 1. Januar 1948 in Kraft trat. Es stellt eine internationale Vereinbarung über den Welthandel dar, im Rahmen derer bis 1994 Zölle Schritt für Schritt abgebaut wurden und die als Grundstein für die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) 1995 gilt. Gründungsmitglieder waren damals 23 Länder, heute sind die Mitglieder des GATT identisch mit jenen der WTO, die derzeit 166 Mitglieder umfasst.
Trumps reziproke Zölle stehen im Verdacht, nicht mit den Regeln der WTO vereinbar zu sein. Unter den WTO-Richtlinien verpflichten sich die Mitgliedsländer zu sogenannten Zollbindungen, die maximale Zollsätze festlegen und die nicht überschritten werden dürfen – es sei denn, sie werden neu verhandelt. Für die USA beträgt der durchschnittliche Maximalzoll für alle Waren 3,4 %, die reziproken Zölle überschreiten diesen Wert deutlich. Zudem untersagt Art. I des GATT die Diskriminierung einzelner Länder. Da die reziproken Zölle je nach Herkunftsland der Importe variieren, wäre dies eine klare Verletzung, sollten sie in Kraft treten. Klagen durch betroffene Staaten sind möglich, wurden bisher aber nicht eingebracht.
„Jetzt gilt es für alle Beteiligten, einen kühlen Kopf zu bewahren. Eine Eskalationsspirale würde den Schaden nur vergrößern.“
Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie Deutschlands, zum Handelskonflikt mit den USA
Trump scheint sich aber wenig darum zu scheren, ob er damit einen Vertragsbruch begeht. Ganz allgemein waren seine bisherigen Zollpläne kaum zu durchschauen, da sie sich willkürlich und beinahe täglich zu ändern scheinen. Offenkundig hat er aber ein Problem mit der Globalisierung, sieht er sein Land immer als das benachteiligte und will er die komplette globale Wirtschaftsordnung umkrempeln. Nur: Die Globalisierung abzuschaffen und zugleich aber ihre Vorteile – nämlich den Wohlstand der Bevölkerung und billige Preise durch Produktion in Niedriglohnländern – zu behalten, dürfte schwierig werden. Zudem verwendet Trump Zölle auf globaler Ebene, ganz im Gegensatz zu Hamiltons erfolgreichem Ansatz im 18. Jahrhundert, der spezifische Industrien schützte und Innovationen fördern wollte. Dies birgt neue Risiken, da diese Maßnahmen die globale Wirtschaft in rivalisierende Blöcke fragmentieren könnten, anstatt Innovation und Stabilität zu fördern. Trumps Alleingang hat den USA bisher jedenfalls deutlich mehr Schaden als Nutzen gebracht. Wir wollen uns im nächsten Kapitel dem Amt widmen, das Donald Trump aktuell zum wohl mächtigsten Mann der Welt macht – dem des US-Präsidenten. Wie viel kann er wirklich allein entscheiden? Welche Institutionen überwachen ihn? Und was sind eigentlich Dekrete, die ihm scheinbar unbegrenzten Handlungsspielraum einräumen?
Trumps Alleingang rund um die Zollpolitik wirft die Frage auf, wie viel Entscheidungsgewalt der US-Präsident wirklich hat. Zwar gibt es den Kongress als wichtigstes Kontrollorgan, sogenannte Dekrete verschaffen dem Präsidenten aber sehr viele Freiheiten. Allein seit Beginn seiner zweiten Amtszeit hat Trump mehr als 140 Dekrete unterzeichnet. Spitzenreiter unter allen US-Präsidenten ist hierbei aber ein anderer.
Der US-Präsident vereint die Rollen Staatsoberhaupt, Regierungschef und oberster Befehlshaber in einer Person. Er besitzt damit erhebliche Autorität, seine Macht ist jedoch nicht absolut und die US-Verfassung und verschiedene Institutionen zeigen ihm seine Grenzen auf. Dies wird als Prinzip der „checks and balances“ verstanden und bezeichnet ein System, das die gegenseitige Kontrolle von Verfassungsorganen und die Gewaltenteilung sicherstellt. So liegt beispielsweise das Budgetrecht beim Kongress und der Präsident ist bei finanziellen Freigaben auf den Kongress angewiesen. Dieser entscheidet über den Haushalt ebenso wie über budgetrelevante Gesetze. Der Präsident darf als Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte, der größten Armee der Welt, Kampftruppen in fremde Länder entsenden – zumindest für die Dauer von 90 Tagen. Über diese Zeitspanne hinaus benötigt er jedoch die Befürwortung des Kongresses. Auch Kriegserklärungen an andere Länder können nur durch den Kongress erfolgen.
Außerdem darf ein US-Präsident keine neuen Gesetze vorlegen oder erlassen. In Artikel I, Absatz 1 der US-Verfassung heißt es, dass alle gesetzgebenden Befugnisse dem Kongress der Vereinigten Staaten übertragen werden. Der Kongress besteht aus einem Senat und einem Repräsentantenhaus. Damit ist er das zentrale Verfassungsorgan bei der Gesetzgebung, allerdings kann der US-Präsident Gesetze verhindern. Legt er ein Veto ein, müssen Senat und Repräsentantenhaus mit einer Zweidrittelmehrheit dagegenhalten, um das Gesetz trotzdem zu erlassen.
Gesetze erlassen darf ein US-Präsident also nicht. Allerdings hat er die Befugnis, sogenannte Exekutivanordnungen – oder auch: Dekrete – zu erlassen. Diese haben die Kraft eines Gesetzes, ohne dass eine Zustimmung des Kongresses erforderlich ist – dem Präsidenten wird also eine Möglichkeit eingeräumt, diesen zu umgehen. Allerdings sind sie in ihrem Umfang begrenzt und können von nachfolgenden Präsidenten aufgehoben oder vor Gericht angefochten werden. Dekrete dürfen nicht im Widerspruch zu bestehenden Gesetzen stehen, die vom Kongress verabschiedet wurden. Ihre langfristige Wirkung hängt davon ab, ob zukünftige Präsidenten bereit sind, sie aufrechtzuerhalten.
Dekrete sind am ersten Tag eines neuen Präsidenten im Amt üblich und setzen den Ton und die Prioritäten für ihre Administration. Im Zeitraum von 1789 bis 2025 haben 46 US-Präsidenten mindestens 15.902 Dekrete erlassen, was einem Durchschnitt von 67 pro Jahr entspricht. Hier sind einige der wichtigsten aus der US-amerikanischen Geschichte:
Emanzipationsproklamation von Abraham Lincoln (1863):
Dieses Dekret erklärte die Freiheit aller Sklaven in den konföderierten Staaten während des Bürgerkriegs und war ein entscheidender Schritt zur Abschaffung der Sklaverei in den USA.
„New Deal“ von Franklin D. Roosevelt (1933–1938):
Präsident Roosevelt nutzte eine Reihe von Dekreten, um wirtschaftliche Reformen während der Großen Depression durchzusetzen. Dazu gehörten Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Regulierung der Banken und zur Unterstützung der Landwirtschaft.
Desegregation des US-Militärs durch Harry S. Truman (1948):
Präsident Truman erließ ein Dekret, das die Rassentrennung im US-Militär aufhob. Dies war ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichberechtigung und Chancengleichheit in den USA.
Allein seit Beginn seiner zweiten Amtszeit im Januar 2025 unterzeichnete Donald Trump mehr als 140 Dekrete. Darunter fallen z. B. der Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Neuausrichtung des Programms zur Aufnahme von Flüchtlingen in den Vereinigten Staaten, die Wiedereinführung der Todesstrafe sowie der Abbau der Bundesbürokratie, der die Entlassung zahlreicher Bundesangestellter zur Folge hatte. Addiert man diese zu den 220 Dekreten aus seiner ersten Amtsperiode, erließ Trump bisher über 360 Stück. Spitzenreiter ist er damit aber noch nicht. Franklin D. Roosevelt (1882–1945), der 32. Präsident der USA, erließ während seiner 12-jährigen Präsidentschaft bisher die meisten Dekrete, nämlich über 3.720. Fun Fact: Er hatte auch am längsten Zeit. Vor dem Inkrafttreten des Zusatzartikels war eine Wiederwahl mehr als einmal möglich und Franklin D. Roosevelt ist damit der einzige US-Präsident der Geschichte, der für mehr als zwei Amtszeiten gewählt wurde. Seine Wahl für eine vierte Amtszeit im November 1944 war der Auslöser, eine Amtszeitbegrenzung in der Verfassung zu verankern.
Quelle: gettyimages.com
Eine weitere Möglichkeit, um seine Befugnisse auszuweiten, ist das Ausrufen des nationalen Notstandes. Dadurch werden dem Präsidenten Sondervollmachten verliehen. Er kann damit das Militär für bestimmte Aufgaben im Inland einsetzen, die normalerweise nicht erlaubt wären. Der Präsident kann Maßnahmen ergreifen, um die Wirtschaft zu stabilisieren, einschließlich der Kontrolle von Produktions- und Vertriebsprozessen. Dies kann die Umleitung von Ressourcen und die Kontrolle von Preisen und Löhnen umfassen. Er kann Sanktionen verhängen, den Handel regulieren und ausländische Vermögenswerte einfrieren, um Bedrohungen der nationalen Sicherheit zu begegnen. In extremen Fällen kann der Präsident außerdem bestimmte Bürgerrechte und -freiheiten einschränken, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Obwohl dem Präsidenten viele Befugnisse während eines nationalen Notstands gewährt werden, muss er den Kongress jedoch innerhalb von 48 Stunden über die Erklärung informieren. Der Kongress hat dann die Möglichkeit, die Notstandserklärung zu beenden, dafür ist nur eine einfache Mehrheit notwendig. Legt der Präsident allerdings ein Veto ein, muss die Beendigung des Notstandes erneut zur Abstimmung – und benötigt dann eine Zweidrittelmehrheit.
Präsident Trump hat den nationalen Notstand bereits mehrfach ausgerufen:
Vielleicht die drastischste Kontrolle der präsidialen Macht ist das Amtsenthebungsverfahren. Der Kongress kann versuchen, einen amtierenden Präsidenten im Falle von kriminellen Machenschaften durch ein Amtsenthebungsverfahren aus dem Amt zu entfernen. Der Prozess beginnt im Repräsentantenhaus und endet im Senat. Wenn der Senat den Präsidenten mit einer Zweidrittelmehrheit verurteilt, wird er aus dem Amt entfernt. Obwohl es selten zu einem solchen Verfahren kommt – bisher gab es vier, aber keines führte zu einer Verurteilung –, dient es als kraftvolle Erinnerung daran, dass der Präsident nicht über dem Gesetz steht. Im Fall von Donald Trump gab es bisher zwei Amtsenthebungsverfahren, beide sind aber am Widerstand der Republikaner gescheitert.
Quelle: Bloomberg; Stand 25.04.2025
Der US-Präsident kann also nicht im Alleingang regieren und er ist nicht unantastbar. Der Kongress, bestehend aus Repräsentantenhaus und Senat, ist dabei das wichtigste Kontrollorgan. Das Ausrufen des nationalen Notstands sowie die Möglichkeit, gesetzesähnliche Anordnungen über Dekrete zu erlassen, verleihen dem US-Präsidenten aber dennoch große Macht. Wird diese nicht mit Bedacht eingesetzt, kann er also auch großen Schaden anrichten.
Donald Trump legt es seit Beginn seiner zweiten Amtszeit anscheinend darauf an, über massive Zölle einen globalen Handelskrieg anzuzetteln. Speziell China steht dabei im Fokus, denn gegenüber dem Reich der Mitte weisen die USA ein besonders hohes Handelsbilanzdefizit auf (siehe Grafik). Die Wirtschaft der USA soll von der US-Zollpolitik profitieren und langfristig stärker daraus hervorgehen. Etwas Gegendruck scheint in seinem Umfeld nun aber aufgekommen zu sein, wie das Verschieben der reziproken Zölle – nur 13 Stunden nach Inkrafttreten – signalisiert. Trotzdem ist der entstandene Schaden bereits groß und lässt sich durch dieses Zurückrudern nicht unmittelbar wieder aus der Welt schaffen. Die Wirtschaftsdynamik der USA wird im Laufe von 2025 weiter abnehmen, die globalen Aktienmärkte haben stark gelitten und das Vertrauen in die US-Regierung scheint erschüttert. Mehr über die Folgen von Trumps Alleingang lesen Sie im nächsten Kapitel.
Die protektionistische US-Handelspolitik verunsichert Staatsakteure, Unternehmer* innen und Investor*innen gleichermaßen. Der Blick in die Zukunft erscheint ungewiss. Wie wir in der BTV die volkswirtschaftlichen Auswirkungen beurteilen und die Zukunft des Handels sehen, lesen Sie nachfolgend.
Die Entwicklung der Weltwirtschaft ist sehr stark davon abhängig, wie hoch die US-Zölle schlussendlich ausfallen und wie die Handelspartner darauf reagieren. Ausschlaggebend ist auch, wie lange die Phase der Unsicherheit anhält, in der die finale Zollhöhe ungewiss ist. Die Konjunkturentwicklung ist damit stark von den Entscheidungen einer Person, nämlich von US-Präsident Trump, anhängig. Eine Eventrisiko, das wir so aus der Geschichte nicht kennen.
Foto: unsplash.com
Grundsätzlich lässt sich allerdings sagen, dass die US-Zollpolitik der Weltwirtschaft schadet, da das Risiko von Lieferkettendisruptionen steigt und der Handel mit den USA teurer und ineffizienter wird. Mit hohen Wachstumseinbußen muss damit auch der Verursacher selbst, nämlich die USA, leben. Aus rein mechanischer Sicht führen höhere Kosten für Importgüter zu sinkenden Margen und damit abnehmenden Gewinnen auf Unternehmensebene. Daraus resultieren wiederum eine geringere Investitionstätigkeit sowie ein Rückgang der Personaleinstellungen. Konsument*innen haben je nach Preisdurchsetzungsmacht der Unternehmen mit dem höheren Preisniveau zu kämpfen, wodurch ihr verfügbares Einkommen schrumpft. Für die USA bedeutet das höhere Zollniveau damit einen negativen Angebots- sowie Nachfrageschock. Beides wird zu einem spürbaren Wachstumseinbruch führen.
Ein weiterer Belastungsfaktor für die Weltwirtschaft ist die von der unklaren weiteren Vorgehensweise des US-Präsidenten und seinen widersprüchlichen Aussagen ausgelöste Unsicherheit. Unternehmer*innen halten sich mit Investitionen zurück, bis Klarheit herrscht, und Konsument*innen sparen verstärkt, bis der Wirtschaftsausblick wieder konkreter wird. Vor allem auf dem kapitalintensiven Industriesektor lastet diese Unsicherheit, was sich für Trumps Vorhaben, diesen zu stärken, als kontraproduktiv erweist.
Je länger diese Unsicherheit anhält, desto strenger werden auch die Bedingungen am Finanzmarkt. Sinkende Aktienkurse lassen das Vermögen der Haushalte und Unternehmen schrumpfen, außerdem verteuern steigende Anleiherenditen die Verschuldung. Das betrifft im aktuellen Umfeld nicht nur Unternehmensanleihen, die in Zeiten mit erhöhtem Konjunkturrisiko regelmäßig unter steigenden Risikoaufschlägen leiden, sondern auch US-Staatsanleihen. Ansonsten in einem unsicheren Umfeld gesucht, ziehen sich Anleger*innen aufgrund der Ungewissheit eher aus US-Staatspapieren zurück. Der Handlungsdruck auf den US-Präsidenten wird damit unweigerlich weiter ansteigen.
Quelle: Bloomberg; Stand 25.04.2025
Widerspruch gegen sein Vorgehen kommt bereits aus den eigenen Reihen. Will Trump daher in den Mid-Term Elections im November 2026 die republikanische Mehrheit im Kongress behalten, so wird er eine schwere US-Rezession besser auslassen. In der BTV gehen wir damit davon aus, dass der Universalzoll von 10 % auf alle US-Importe bestehen bleibt, exorbitant hohe Zölle gegenüber einzelnen Handelspartnern bzw. sektorale Zölle nach erfolgreichen Verhandlungen jedoch wieder aufgehoben bzw. reduziert werden. Auf Zugeständnisse ihrer Handelspartner, die dann von der Regierung vor den Wahlen als Erfolg beworben werden können, werden die USA allerdings bestehen.
Es kann davon ausgegangen werden, dass die Ungewissheit in der US-Handelspolitik kurz- bis mittelfristig zu einem Rückgang des globalen Handels führt. Im Laufe der Zeit werden nach BTV Einschätzung jedoch Handelsbündnisse neu geknüpft werden, mit den USA in einer weniger dominanten Rolle. Der US-Anteil am globalen Handel von 11 % spricht dafür, dass durch einen Rückzug der USA der globale Handel auch nicht austrocknen wird.
Außerdem sprechen sich eine Reihe wichtiger Volkswirtschaften weiterhin für den freien Handel aus.
Wie sich die Zukunft des Handels tatsächlich gestalten wird, bleibt stark abhängig von der Einigkeit, die zwischen den Handelspartnern erzielt werden kann. Möglichkeiten, neue Bündnisse einzugehen, gibt es genug, allerdings gelten Zeiten des Umbruchs auch als turbulent und gehen mit erheblicher Unsicherheit einher.
Die Ungleichgewichte, die sich in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker ausgeprägt haben, bilden einen optimalen Nährboden für die steigende Unzufriedenheit und den politischen Aktionismus in den USA. Ein Handelsdefizit, das auf das Wirtschaftswachstum drückt, eine abnehmende Wettbewerbsfähigkeit der US-Industrie, die zunehmende Abhängigkeit vom Ausland sowie die stetig steigende Staatsverschuldung sind wohl die größten Schmerzpunkte. Es handelt sich hiermit um strukturelle Probleme, die nicht nur private Haushalte und Unternehmer*innen belasten, sondern auch auf staatlicher Ebene von großer Relevanz sind.
US-Präsident Trump hat sich im Wahlkampf mit seiner „America First“-Politik für eine schnelle Lösung von strukturellen Problemen ausgesprochen. Über die Einführung exorbitant hoher Zölle versucht er nun die Handelspartner an den Verhandlungstisch zu zerren und Zugeständnisse zu erzwingen.
So funktioniert das allerdings nicht. Denn die Uneinschätzbarkeit des US-Präsidenten, seine widersprüchlichen Aussagen sowie Drohgebärden gegenüber verbündeten Staaten führen zu großer Unsicherheit und damit zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse. Die bipolare Welt, geteilt in Ost und West, entwickelt sich zu einer multipolaren Welt, in der neue Bündnisse eingegangen werden. Wir können davon ausgehen, dass diese Transformation Turbulenzen mit sich bringen wird, dennoch werden sich auch Chancen auftun, die wir in Europa ergreifen sollten.
Für Europa heißt es nun, strukturelle Probleme anzupacken. Die EU muss als Wirtschafts- und Währungsunion stärker zusammenrücken, Regulierungen abbauen, Investitionen in Zukunftstechnologien vorantreiben und außerdem grenzüberschreitende Finanzierungen ermöglichen. Um Europas Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verbessern, muss die Energieversorgung sichergestellt und die hohen Energiekosten müssen reduziert werden. Die strategische Autonomie im Bereich Verteidigung zählt aufgrund der geopolitischen Entwicklungen ebenso zu den aktuellen Prioritäten der EU.
Trotz dieses durch die USA herbeigeführten Umbruchs beinhaltet eine Neuformierung der Weltordnung damit auch Chancen. Der Weg dahin wird jedoch sicherlich kein einfacher sein und sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Es bleibt zu hoffen, dass wir unser Potenzial in Europa erkennen und dieses durch strukturierte und zielgerichtete Maßnahmen auch entfalten können.
Die in diesem Beitrag verwendeten Fach- und Finanzbegriffe werden unter diesem Link ausführlich erklärt.
Die Beiträge in dieser Publikation dienen lediglich der Information. Die BTV prüft ihr Informationsangebot sorgfältig. Dennoch bitten wir um Verständnis, dass wir diese Informationen ohne Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität zur Verfügung stellen. Verleger und Verfasser behalten sich einen Irrtum, insbesondere in Bezug auf Kurse und andere Zahlenangaben, ausdrücklich vor. Durch neue Entwicklungen oder kurzfristige Änderungen können diese Informationen daher bereits überholt sein. Bei Prognosen und Schätzungen über die zukünftige Entwicklung handelt es sich lediglich um unverbindliche Werte. Von diesen kann nicht auf die tatsächliche künftige Wertentwicklung geschlossen werden, weil zukünftige Entwicklungen des Kapitalmarktes nicht im Voraus zu bestimmen sind. Bei diesen Informationen handelt es sich um keine individuelle Anlageempfehlung, kein Angebot zur Zeichnung bzw. zum Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten. Bitte beachte Sie, dass ein Investment mit Risiken verbunden ist. Stand: Mai 2025
Die gesamte Ausgabe steht Ihnen auch als PDF zur Verfügung.
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