Für Sie gelesen: Der entzauberte Staat

In seinem Buch „Der entzauberte Staat“ setzt sich Ökonom Moritz Schularick mit der Frage auseinander, wie Deutschland mit der Covid-19-Pandemie zurechtkam, zeigt die Defizite im Management der Krise auf und beschreibt, was sich ändern muss, wenn wir die Herausforderungen der Zukunft bewältigen wollen.

Ein Kaltstart auf unbekanntem Terrain

In der Pandemie war der deutsche Staat als proaktiver Risikomanager gefordert, der auf der Grundlage von unsicherem Wissen einen Weg durch die Krise finden musste. Ist ein kurzer, scharfer Lockdown mit dem Ziel, die Inzidenz fast auf null zu bringen, ökonomisch und sozial sinnvoller als der Versuch, „mit dem Virus zu leben“? Oder sollte man große Teile der Bevölkerung zunächst nur einmal impfen, um die Ausbreitung zu stoppen, obwohl die Zulassungsstudien des Impfstoffs eine zweimalige Impfung vorsehen?

 

Im Frühjahr 2020 schien Deutschland die Pandemie vorbildlich zu bewältigen. Ein stark wahrgenommener Staat und verständnisvolle Bürger zogen an einem Strang. Doch ein Jahr später war von der Selbstzufriedenheit nicht mehr viel übrig. Die Politik stolperte durch die zweite und dritte Welle, verlor sich in Detailregelungen. Symptomatisch war der Auftritt der Bundeskanzlerin Merkel, die einen mühsam mit den Ministerpräsidenten der 16 deutschen Bundesländer verhandelten Kompromiss für einen verlängerten Osterlockdown 2021 vor laufenden Kameras zurücknahm. So wie vereinbart war das nicht umzusetzen.

 

Dem Autor zufolge war der Staat operativ in der Pandemie nicht gut aufgestellt, den Verwaltungen und Ämtern fehlte es an Ausstattung und Organisationskraft, es mangelte an Testzentren, Computern und Software. Die Entscheidungsprozesse waren zu schwerfällig.

 

Die Impfstoffproduktion als nationaler Kraftakt

Mit Blick auf die Impfstoffproduktion sieht Prof. Schularick die USA und Großbritannien als Vorbilder. Diese beiden Länder nahmen der Pharmaindustrie das Risiko ab, finanzierten die Produktion und schafften es dadurch, die Impfkampagnen früher zu starten und zu einer Herdenimmunität zu gelangen. Statt die Produktion von Impfstoffen durch Anschubfinanzierungen im Inland zu sichern, schob Deutschland das Thema auf die EU-Ebene, die eine gemeinsame Beschaffung des Impfstoffes übernehmen sollte. Laut Prof. Schularick hätte sich die Produktion allemal gelohnt, wenn man bedenkt, was an Wertschöpfung durch den Lockdown verloren ging. Es gibt in Mitteleuropa keine Tradition, solche Herausforderungen als „Mission“ zu begreifen und durch zu ziehen.

 

Wie gut sind wir gerüstet?

Die Pandemie sieht Prof. Schularick als Probelauf für die Zukunft. Ohne einen leistungsfähigen und krisenfesten Staat werde Deutschland ernsthafte Schwierigkeiten haben, im kommenden Jahrzehnt den komplexen ökologischen Umbau der Wirtschaft zu meistern. Denn dafür brauche es einen vorausschauenden, risikobereiten und handlungsstarken Staat, der die richtigen Anreize setzt und in neuen Situationen flexibel reagieren kann. Auch eine leistungsfähige Verwaltung und eine bessere Verzahnung von Wissenschaft und Politik sieht der Autor als essenzielle Erfolgsfaktoren bei der Bewältigung aktueller und zukünftiger Herausforderungen.

Zum Autor des Buches:

Dr. Prof. Moritz Schularick ist Universitätsprofessor für Ökonomie in Paris und Bonn. Seine Forschungstätigkeit konzentriert sich auf Fragen der monetären Makroökonomik, der internationalen Ökonomik und der Wirtschaftsgeschichte. Sein Buch „Der entzauberte Staat – Was Deutschland aus der Pandemie lernen muss“ erschien im C.H. Beck Verlag, München 2021.

BTV Experten-Dialog: Die Zukunft Europas –
Zeitenwende im Energie- & Infrastrukturbereich

Wir freuen uns, Dr. Prof. Moritz Schularick beim diesjährigen BTV Experten-Dialog als Redner und Diskussionsteilnehmer begrüßen zu dürfen. Die Veranstaltung wird am 29.09.2022 ab 18.00 Uhr im Livestream übertragen, eine Anmeldung hierzu ist ab Anfang September auf unserer Website möglich.